Anhal­ti­sches Thea­ter Dessau

Familiengeschichten.Belgrad

»Rohes Neu­es Jahr« − Ein beweg­ter Stadt­kri­mi von Andre­as Hillger

Drei Kin­der, zwei Jungs und ein Mäd­chen, tref­fen sich im her­un­ter­ge­kom­me­nen Rand­ge­biet einer gro­ßen Stadt und spie­len das wohl belieb­tes­te Kin­der­spiel: Fami­lie – Vater, Mut­ter, Kind. Ein ver­ängs­tig­tes, stum­mes Mäd­chen stößt zu ihnen und wird zum gehor­sa­men Fami­li­en­hund bestimmt. Die „Fami­li­en­mit­glie­der“ gehen mit­nich­ten lie­be­voll mit­ein­an­der um, son­dern kalt und bru­tal, es wird geschimpft, gebrüllt, gemor­det. Denn die spie­len­den Kin­der wach­sen in einer Gesell­schaft auf, in der gera­de ein Krieg statt­ge­fun­den hat, und sie über­neh­men, was sie in ihrer Umge­bung ‑im Eltern­haus, in der Öffent­lich­keit, in den Medi­en — tag­täg­lich auf­schnap­pen und erle­ben: pri­mi­ti­ve, klein­ka­rier­te Dumm­heit, Frem­den­hass, archai­sche Denk­mus­ter. Und das Spiel beginnt immer wie­der von vorn.

Die bekann­te ser­bi­sche Dra­ma­ti­ke­rin Bil­ja­na Srblja­no­vić hat Familiengeschichten.Belgrad 1998 geschrie­ben, nach dem Ende der Krie­ge in Kroa­ti­en und Bos­ni­en. Das Stück beleuch­tet und seziert eine durch den Krieg dege­ne­rier­te und ver­roh­te Gesell­schaft – und deren Kin­der müs­sen ein schwe­res Erbe antre­ten, kön­nen aber auch ein­mal alles anders machen. 

Büh­nen- & Kos­tüm­bild: Sabi­ne Schmidt
Dra­ma­tur­gie: Miri­am Locker
mit: Anna Gesew­sky, Dirk S. Greis, Illi Oehl­mann & Patrick Wudtke
Fotos: Clau­dia Heysel
Pre­mie­re am 2. April 2016 im Alten Thea­ter Dessau
»Unter André Bücker, dem im ver­gan­ge­nen Som­mer im Streit mit der Kul­tur­po­li­tik geschie­de­nen Inten­dan­ten, hat sich das Alte Thea­ter ein klei­nes, aber alter­na­ti­ves und jun­ges Publi­kum erspielt. Bückers Regie­as­sis­tent David Ort­mann und die Dra­ma­tur­gin Sabeth Braun haben hier zwei Spiel­zei­ten lang eine Art Off-Thea­ter im Stadt­thea­ter betrie­ben – Selbst­aus­beu­tung inbe­grif­fen. Wäh­rend Bücker auch mit dem Schau­spiel auf die gro­ße Büh­ne streb­te, haben sie hier die klei­nen, schnel­len, fre­chen und expe­ri­men­tel­len For­ma­te gepflegt. […] Und “Fami­li­en­ge­schich­ten. Bel­grad” wird vor­erst [Ort­manns] letz­te Insze­nie­rung in Des­sau sein. Er beschwört dar­in gewis­ser­ma­ßen noch ein­mal den Geist der Off-Büh­ne, die er dem Stadt­thea­ter zwei Jah­re lang abge­trotzt hat […]. Es wird ein­fach ein schwie­ri­ger Stoff soli­de, frisch und gera­de­aus erzählt.«
»All das wird sozu­sa­gen nach­ge­spielt und ist manch­mal sogar komisch. Kommt alles im schein­bar nor­ma­len Kin­der­spiel daher — nach der ganz und gar nicht nor­ma­len Vor­la­ge eines Lebens mit­ten im Bür­ger­krieg. Mit Erwach­se­nen, die Kin­der spie­len. Wor­an man sich am Anfang erst gewöh­nen muss. Was aber nach dem ers­ten Sze­nen­wech­sel von einer ganz eige­nen Atmo­sphä­re getra­gen wird […]. In Des­sau wird das zu einem Stück, das ohne wei­ner­li­che Bes­ser­wis­se­rei von den Schat­ten­sei­ten des Lebens erzählt.«
Joa­chim Lange
Mit­tel­deut­sche Zei­tung vom 4. April 2016