Anhal­ti­sches Thea­ter Dessau

Vor den Vätern ster­ben die Söhne

nach dem Erzähl­band von Tho­mas Brasch – der Sie­ger der Wunschstück-Wahl!

Im Sep­tem­ber 2013 stell­te das Des­sau­er Schau­spiel­ensem­ble in öffent­li­chen Lese­pro­ben dem kri­ti­schen Publi­kum drei Tex­te vor, aus denen man per Wahl­zet­tel oder Online-Abstim­mung das Werk aus­wäh­len konn­te, das als Insze­nie­rung erleb­bar wer­den sollte.

Mit »Toten­trom­pe­ten« (Einar Schle­ef), »Vor den Vätern ster­ben die Söh­ne« (Tho­mas Brasch) und »3 von 5 Mil­lio­nen« (Fritz Kater) stan­den drei Wer­ke zur Wahl, die zwei Din­ge gemein­sam haben: Zum einen beschäf­ti­gen sie sich alle mit der DDR bezie­hungs­wei­se deren Unter­gang. Zum ande­ren stel­len sie kei­ne klas­si­schen Thea­ter­dra­men mit klar ver­teil­ten Rol­len und Regie­an­wei­sun­gen dar; ihre eigen­sin­ni­ge Text­struk­tur ruft beim Leser unwei­ger­lich die Fra­ge her­vor: Wie soll die­ser Text bloß insze­niert werden?

Die Wahl fiel mit gro­ßer Mehr­heit auf den Text, der am wenigs­ten ein Thea­ter­stück, dafür aber viel­leicht der bekann­tes­te von allen ist: Tho­mas Braschs Erzähl­band »Vor den Vätern ster­ben die Söhne«.

Brasch, den mit der DDR eine Hass­lie­be ver­band, der Kom­mu­nist war und doch in die­sem Staat nicht leben woll­te, hat 1977 mit »Vor den Vätern ster­ben die Söh­ne« ein Buch der exis­ten­ti­el­len und poli­ti­schen Revol­te geschrie­ben. Ein Buch von aus­weg­lo­ser Unbe­dingt­heit. Das Buch eines jun­gen Man­nes. Tho­mas Braschs wohl noch immer bekann­tes­tes Werk zeigt in Pro­sa-Minia­tu­ren den All­tag der DDR aus der Per­spek­ti­ve ver­zwei­fel­ter Loya­li­tät. Hier will einer den Sozia­lis­mus, aber leben­dig, anar­chisch, human. »Alles anders machen«, schreit sei­ne Haupt­fi­gur, einer wie Brasch selbst, »ohne Fabri­ken, ohne Autos, ohne Zen­su­ren, ohne Stech­uh­ren. Ohne Angst. Ohne Polizei.«

In der Insze­nie­rung haben sich Braschs Erzäh­lun­gen zu einer Geschich­te drei­er Arbei­ter unter­schied­li­cher Gene­ra­tio­nen und Ansich­ten verbunden.

Büh­nen­bild: Jan Steigert
Kos­tüm­bild: Kat­ja Schröpfer
Dra­ma­tur­gie: Sabeth Braun
mit: Dirk Greis, Patrick Rup­ar & Patrick Wudtke
Fotos: Clau­dia Heysel
Pre­mie­re am 28. Novem­ber 2013 im Gro­ßen Haus
»[Braschs Pro­sa-Minia­tu­ren] begin­nen im Foy­er des Kul­tur­zen­trums ›Altes Thea­ter‹ mit mäch­tig Lärm. Stell­wän­de, die die Büh­ne ver­deckt hat­ten, wer­den mit Radau weg­ge­räumt und fal­len­ge­las­sen, Press­luft­ge­häm­mer und Maschi­nen­ge­räu­sche sug­ge­rie­ren Arbeits­at­mo­sphä­re, in dem kei­ner des ande­ren Wort ver­steht. […] Ob die Sze­ne Traum oder Rea­li­tät sein soll, bleibt unklar. So springt die Insze­nie­rung von einer Sze­ne aus dem Leben eines Arbei­ters zur nächs­ten, reißt ein The­ma an, erzählt es nach und geht dann wei­ter. Das gelingt ganz iro­nisch, wenn die drei Malo­cher aus Brie­fen an den ›Genos­sen Direk­tor‹ zitie­ren und des­sen Ant­wor­ten im Chor sprechen.«
»Man kann, etwas Kennt­nis der DDR, wenigs­tens aber his­to­ri­sche Sen­si­bi­li­tät vor­aus­ge­setzt, die­sen 75-minü­ti­gen Thea­ter­abend auch genie­ßen, ohne das Buch zu ken­nen. […] Dirk S. Greis, Patrick Rup­ar und Patrick Wudt­ke haben ihren Bau­ar­bei­ter-Knig­ge und ihr Werk­hal­len-Ein­mal­eins aber genau stu­diert. Und wo Wor­te der Wut und der Ohn­macht im Land der begrenz­ten Unmög­lich­kei­ten nicht hel­fen, ver­su­chen Ramt­ur, Gra­bow und Fast­nacht zwi­schen zwei auf Hoch­tou­ren lau­fen­den Wind­ma­schi­nen sinn­los schwar­ze Papier­strei­fen zu schip­pen. Das ist ein tref­fen­des Bild für das Phä­no­men DDR als Ganzes.«
Kai Agthe
Mit­tel­deut­sche Zei­tung vom 19. Dezem­ber 2013