Staats­thea­ter Augsburg

Ugly Lies the Bone

Hybri­des Schau­spiel von Lind­sey Fer­ren­ti­no (Deutsch­spra­chi­ge Erstaufführung)

Das ame­ri­ka­ni­sche Erfolgs­stück »Ugly Lies the Bone« han­delt von der Kriegs-Vete­ra­nin Jess, die durch ihren Ein­satz in Afgha­ni­stan schwer trau­ma­ti­siert ist und nur lang­sam in ihr frü­he­res Leben zurück­fin­det. Dabei hilft ihr eine expe­ri­men­tel­le Schmerz­the­ra­pie in der vir­tu­el­len Rea­li­tät. Aus­ge­stat­tet mit VR-Bril­len taucht das Publi­kum bei die­ser Insze­nie­rung selbst in die vir­tu­el­le Rea­li­tät ein.

In »Ugly Lies the Bone« kommt die Sol­da­tin Jess aus ihrem drit­ten Ein­satz in Afgha­ni­stan nach Hau­se. Zu Hau­se, das ist für sie die US-ame­ri­ka­ni­sche Stadt Titus­ville, in »the heart of Florida’s Space Coast« – das »John F. Ken­ne­dy Space Cen­ter« auf der vor­ge­la­ger­ten Insel Mer­ritt Island ist der Welt­raum­bahn­hof der NASA. Von dort aus star­te­ten zwi­schen 1968 und 2011 alle bemann­ten Raum­flü­ge der USA. Das Stück spielt 2015, im glei­chen Jahr, als es geschrie­ben wur­de, und damit in einer Zeit nach dem wirt­schaft­li­chen und tou­ris­ti­schen Boom der Stadt.
Jess kommt zurück in das Haus ihrer Mut­ter, wo sie gemein­sam mit ihr und ihrer Schwes­ter Kacie vor und zwi­schen ihren Ein­sät­zen gelebt hat. Ihre Mut­ter lei­det unter Demenz und lebt seit dem letz­ten Ein­satz in einem Pfle­ge­heim. Vom Vater der bei­den Schwes­tern erfährt man nichts. Bei Jess‘ Heim­kehr hat sich die Situa­ti­on im Haus ver­än­dert – Kacie hat einen neu­en Mann an ihrer Sei­te, Kel­vin, und hat sich nach dem Aus­zug der Mut­ter zwar behut­sam, aber doch neu eingerichtet.

In ihrem drit­ten Ein­satz wur­de Jess schwer ver­wun­det. Durch eine Explo­si­on erlitt sie groß­flä­chi­ge Brand­ver­let­zun­gen. Zudem lei­det sie unter einer post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung. Sie nimmt an einem Pro­gramm der Armee teil, das ihr mit­tels Vir­tu­al Rea­li­ty hel­fen soll, ihre Ver­let­zun­gen zu hei­len und damit auch ihr Trau­ma zu über­win­den.
Jess ver­sucht in dem Ort ihrer Kind­heit und in den Bezie­hun­gen zu ihrer Schwes­ter Kacie und ihrem Exfreund Stevie, an ihr frü­he­res Leben anzu­knüp­fen. Aber das Leben zu Hau­se hat sich wei­ter­ent­wi­ckelt: Kacie führt ihr Leben als Leh­re­rin mit Kel­vin und sorgt gleich­zei­tig für die kran­ke Mut­ter; Stevie hat gehei­ra­tet und arbei­tet in einer Tank­stel­le. Ein Anknüp­fen ist unmög­lich, und alle müs­sen sich Jess‘ Kriegs­er­fah­rung, die sie nach Hau­se mit­bringt, stellen.

Idee, Kon­zept, VR- und Video­re­gie: Ali­ce Asper

Sze­ni­sche Umset­zung: David Ort­mann, Nico­le Schneiderbauer

Büh­ne & Kos­tüm: Deni­se Leisentritt

3D-Artist: Ben­ja­min Seuffert

Musik: Ste­fan Leibold

VR-Musik: Klaus Lehr

Licht: Moritz Fettinger

Dra­ma­tur­gie: Sabeth Braun

mit: Flo­ri­an Gert­eis, Chris­ti­na Jung/Jenny Lang­ner, Juli­us Kuhn, Sebas­ti­an Mül­ler-Stahl & Kat­ja Sie­der sowie Ilo­na Kra­mer & Ute Fiedler

Fotos: Jan Fuhr
Pre­mie­re am 11. Juni 2022 auf der brecht­büh­ne im Ofenhaus
»Viel, viel inter­es­san­ter indes ist die ech­te Umset­zung auf der Büh­ne durch David Ort­mann und Nico­le Schnei­der­bau­er. Sie brau­chen die Andeu­tung eines Zuhau­se, ein biss­chen effekt­vol­le Video­pro­jek­ti­on und allein die Dar­stel­ler, um mit dem Text in einer herr­lich schrof­fen Über­set­zung und mit prä­zis gesteu­er­ten Asso­zia­tio­nen einen auf­re­gen­den Abend zu erschaffen.«
»›Ugly Lies the Bone‹ erzählt gna­den­los, aber auch mit sehr melo­dra­ma­ti­schen Mit­teln die Geschich­te einer Ent­frem­dung, der ver­zwei­fel­ten Auf­leh­nung eines Men­schen, der in den Licht­blit­zen des Krie­ges und sei­nen Ver­stüm­me­lun­gen […] sei­ne Iden­ti­tät wie­der behaup­ten muss. Die Regie nimmt dabei den Unter­ti­tel ›Das gan­ze Spiel‹ als Aus­gangs­punkt: Vir­tu­al Rea­li­ty spie­gelt das Bewusst­sein von Jess. Es ist gut, dass die Regie dabei dar­auf ver­zich­tet, die Jess der Chris­ti­na Jung als Opfer zu schmin­ken. Sie agiert äußer­lich schein­bar unver­letzt auf der Büh­ne, damit aber umso prä­sen­ter in einer kör­per­li­chen Anspan­nung, die die Tie­fe des Schmer­zes erah­nen lässt.« 
»Sie­ben Jah­re spä­ter hat das Stück bei sei­ner deutsch­spra­chi­gen Erst­auf­füh­rung in Euro­pa plötz­lich wie­der eine unan­ge­neh­me Aktua­li­tät bekom­men. Je mehr es uns die Insze­nie­rung erlaubt, nah an die Schauspieler:innen und ihr spar­sa­mes, kon­zen­trier­tes und effek­ti­ves Spiel zu kom­men, des­to stär­ker wirkt sie auch. Der tech­ni­sche Fir­le­fanz drum her­um ist für Jess’ Hei­lung und Heim­kehr nutz­los. Vom Umher­schmei­ßen eini­ger Pixel-Klöt­ze wird nie­mand gesund werden.«
»Wie sehr der Krieg Men­schen ver­än­dern und zer­stö­ren kann, erzählt zum Bei­spiel Lind­say Fer­ren­ti­nos Dra­ma ›Ugly Lies The Bone‹. […] Büh­ne (Deni­se Lei­sen­tritt) und Regie unter­strei­chen, wie unmög­lich Nähe gewor­den ist. Das Haus besteht aus zwei Hälf­ten, die Figu­ren blei­ben immer auf Abstand. Das ›Wel­co­me Home‹ über allem wirkt 90 Minu­ten lang wie rei­ne Iro­nie. Dank der Schau­spie­le­rin Chris­ti­na Jung ver­sinkt man als Zuschaue­rin oder Zuschau­er an die­sem Abend nicht in rei­ne Depres­si­on, ihre Jess kämpft gegen all die­se mit gro­ßer inne­rer Stär­ke, sie strahlt in ihrem Unglück noch Sou­ve­rä­ni­tät aus.«