Staats­thea­ter Augsburg

Mut­ter Cou­ra­ge und ihre Kinder

Eine Chro­nik des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges von Ber­tolt Brecht

Mit deut­schen Über­ti­teln sowie Han­dy-Unter­ti­teln in Deutsch, Eng­lisch und den Brecht­fes­ti­val-Spra­chen Tür­kisch und Russisch

In David Ort­manns Neu-Insze­nie­rung des iko­ni­schen Brecht-Klas­si­kers wird die über­zeit­li­che Aktua­li­tät des Stoffs im Ange­sicht eines neu­en Krie­ges in Euro­pa erschre­ckend bewusst. Unter Mit­wir­kung der bekann­ten tau­ben Schau­spie­le­rin Anne Zan­der macht das Schau­spiel-Ensem­ble in gro­ßer Beset­zung die­sen Abend zusam­men mit Musiker:innen der Augs­bur­ger Phil­har­mo­ni­ker zu einem Thea­ter­er­eig­nis, bei dem Kos­tüm- und Büh­nen­bild aus dem Vol­len schöpfen.

Durch die ent­mensch­lich­te Welt des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges reist die Mar­ke­ten­de­rin Anna Fier­ling im Tross eines Hee­res von Kriegs­schau­platz zu Kriegs­schau­platz. Ein­zi­ger Garant für das Über­le­ben ihrer Fami­lie ist ihr Geschäfts­sinn – kom­me, was da wol­le. Aber ihr Vor­ha­ben, sich und ihre Kin­der unbe­scha­det durch die Kata­stro­phe zu brin­gen und trotz­dem ein Aus­kom­men mit dem Krieg zu fin­den, muss ange­sichts des all­um­fas­sen­den Grau­ens schei­tern.
Lan­ge Zeit galt der 30-jäh­ri­ge Krieg als der »Krieg aller Krie­ge«, als Zusam­men­bruch jeg­li­cher Zivi­li­sa­ti­on. Umfas­sen­der und zer­stö­re­ri­scher als die­sen wag­te man die Krie­ge der Neu­zeit nicht zu denken.

Im Herbst 1939 schrieb Ber­tolt Brecht im Ange­sicht der Kata­stro­phe des Zwei­ten Welt­krie­ges in nur weni­gen Wochen sei­ne »Chro­nik des 30jährigen Krie­ges«. Brecht zeigt mit »Mut­ter Cou­ra­ge und ihre Kin­der« unge­schönt den All­tag der­je­ni­gen, die den Krieg am eige­nen Leib erfah­ren: all die Men­schen, die den Hee­ren im Tross fol­gen und ver­su­chen, hier ein Aus­kom­men zu fin­den – Sol­da­ten, Köche, Kin­der und Händ­le­rin­nen. Aber der Krieg kennt kei­ne Gewin­ner.
Von über­zeit­li­cher Aktua­li­tät erscheint »Mut­ter Cou­ra­ge und ihre Kin­der« als War­nung auch für heu­ti­ge Tage.
In der Regie von David Ort­mann spielt das Schau­spiel­ensem­ble in gro­ßer Beset­zung zusam­men mit Mit­glie­dern der Augs­bur­ger Phil­har­mo­ni­ker unter der Lei­tung von Ste­fan Lei­bold (Musik: Paul Dessau).

Musi­ka­li­sche Lei­tung: Ste­fan Leibold
Büh­nen­bild: Jür­gen Lier
Kos­tüm­bild: Ursu­la Bergmann
Dra­ma­tur­gie: Mela­nie Poll­mann
mit: Ute Fied­ler, Anne Zan­der, Gerald Fied­ler, Juli­us Kuhn, John Armin San­der, Klaus Mül­ler, Nata­lie Hünig, Sebas­ti­an Mül­ler-Stahl, Kai Windhövel
Fotos: Jan Fuhr
Pre­mie­re am 23. Febru­ar 2024 im martini-Park
»Regis­seur David Ort­mann hat sich mit dem Ensem­ble des Staats­thea­ters Augs­burg über Wochen in den Abgrün­den die­ses Dra­mas bewegt. In inten­si­ven, auf­wüh­len­den drei Stun­den blei­ben alle nah am Text. Ort­mann liegt genau rich­tig, wenn er auf Aktua­li­sie­run­gen ver­zich­tet. Die Bil­der aus der Ukrai­ne sowie aus Isra­el und Gaza brin­gen alle selbst mit in den Thea­ter­saal. Dazu errich­tet die Schau­spie­le­rin Ute Fied­ler der Mut­ter Cou­ra­ge ein Denk­mal, ver­steckt Angst, Zwei­fel und Sor­ge unter einem undurch­dring­li­chen Pan­zer der Stär­ke. Und noch jemand ragt aus der star­ken Ensem­ble­leis­tung her­aus: Anne Zan­der als stum­me Toch­ter Kat­trin, die man so auch noch nie gese­hen hat. Denn Zan­der, selbst gehör­los, spricht zwar kein Wort, gebär­det aber […]. Lan­ger Applaus für eine star­ke, inten­si­ve und packen­de Inszenierung.«
»[D]ie Titel­rol­le spielt Ute Fied­ler, wun­der­bar hemds­är­me­lig, zupa­ckend und doch zer­brech­lich. […] Ort­mann hat sich dafür ent­schie­den, der Spra­che Brechts mög­lichst viel Gewicht ein­zu­räu­men. Die Bil­der sind sehr klar, wir­ken bis­wei­len fast sta­tisch. Natür­lich, das Stück spielt im 17. Jahr­hun­dert, und für Brechts Tex­te sind die Urhe­ber­rech­te noch nicht frei. Doch obwohl es gera­de Krieg in Euro­pa gibt, bleibt der Abend ent­rückt, da rei­chen die Zita­te heu­ti­ger Mili­tär­klei­dung und Waf­fen nicht. Er ist soli­de, kon­ven­tio­nell, ver­mut­lich eine Freu­de für tra­di­tio­nell gepräg­te Brecht-Fans, aber er lie­fert kei­ne neue Erkennt­nis. […] Die Rol­le der bei Brecht stum­men Kat­trin hat die gehör­lo­se Schau­spie­le­rin Anne Zan­der über­nom­men, die vor allem mit John Armin San­der als ihren Bru­der Schwei­zer­kas und Gerald Fied­ler als Feld­pre­di­ger Sze­nen fei­ner Emo­tio­na­li­tät ent­wi­ckelt. […] Ruft man sich einen Tag spä­ter – im Kraft­klub– die Insze­nie­rung dann in Erin­ne­rung, ist jedoch auch klar: Sie ist ein wert­vol­les Gewicht im Fes­ti­val­pro­gramm, denn kon­trast­rei­cher dürf­ten die Zugän­ge zu Brecht wohl nicht sein als im Mar­ti­ni­park und im ehe­ma­li­gen Möbelhaus.«
»Das Publi­kum war einer Mei­nung bei der Pre­mie­re: Bes­ser kann Brecht in der Frie­dens­stadt Augs­burg nicht gespielt wer­den! Deutsch­land­weit ist Ort­manns Kon­zept zur Inklu­si­on inzwi­schen bekannt. Dazu gehört auch, dass die gespro­che­nen Tex­te für Hör­be­hin­der­te gut les­bar im Hin­ter­grund lau­fen. Der Ein­satz von Anne Zan­der ist gold­rich­tig, [sie] spielt die Toch­ter Kat­trin phänomenal […].«
»[A]n der Ver­si­on von David Ort­mann, Haus­re­gis­seur am Staats­thea­ter der Stadt, ist zwar eini­ges prä­gnant und über­ra­schend, aber ten­den­zi­ell nichts wirk­lich anders und neu. Das Wich­tigs­te zuerst: Kat­trin (Anne Zan­der) spricht. […] Zwar basiert die­se zen­tra­le Idee der Insze­nie­rung nicht auf his­to­risch ver­bürg­tem Mate­ri­al, [a]ber Brechts Idee der Mehr­spra­chig­keit in der Fami­lie Cou­ra­ge führt sie wei­ter. […] Die Idee hat Poten­zi­al – führt aber zu Pro­ble­men für alle im Publi­kum, die nicht not­wen­di­ger­wei­se der Über­ti­telung fol­gen […]. Denn wenn mit Kat­trin gespro­chen wird, teils in hin­zu­ge­füg­ten Sze­nen, teils in Pas­sa­gen des Tex­tes, in denen über die Toch­ter ver­han­delt wird, brei­tet sich im Ablauf der Hand­lung eine Art Leer­lauf aus. Im ›stum­men Gespräch‹ dann, mit viel Text zum Lesen und nichts zum Hören, läuft der Spiel­fluss erst recht aus dem Ruder. Das ist scha­de, aber eine kaum ver­meid­ba­re Kon­se­quenz der an sich sehr seriö­sen Idee.«
»Ute Fied­ler in der Haupt­rol­le nimmt man die­ses unbeug­sa­me und dabei doch so empa­thi­sche Teu­fels­weib jeden­falls sofort ab – die lang­jäh­ri­ge Stamm­schau­spie­le­rin des Augs­bur­ger Ensem­bles lie­fert eine beein­dru­cken­de Dar­stel­lung ab. […] Und in der ein­drucks­vol­len Insze­nie­rung von David Ort­mann, die noch fünf Mal bis Mit­te Juni in der Aus­weich­spiel­stät­te des Augs­bur­ger Staats­thea­ters im mar­ti­ni-Park gezeigt wird, bedeu­tet das einen drei­stün­di­gen Par­force­ritt der Gefüh­le. […] Ein aus­ge­klü­gel­tes Licht­spiel sowie die Text­ein­blen­dun­gen auf dem run­den, dreh­ba­ren Büh­nen­ele­ment im Hin­ter­grund las­sen das Gesag­te bes­ser ver­ste­hen. Im Fal­le der ›Stum­men Kat­trin‹, die Anne Zan­der meis­ter­haft mit aus­drucks­star­ker Mimik und einem aus­ge­fuchs­ten Laut­spiel auf die Büh­ne bringt, ist das umso wich­ti­ger. Im Ori­gi­nal­text bleibt Kat­trin stumm. In der Augs­bur­ger Insze­nie­rung unter­hält sich ihre Mut­ter mit ihr laut­spra­che­un­ter­stüt­zen­den Gebär­den (LUG), wäh­rend Bru­der ›Schwei­zer­kas‹ sogar die Deut­sche Gebär­den­spra­che (DGS) beherrscht. Ein tol­ler Ein­fall der Augs­bur­ger, die nicht zuletzt durch ihre digi­ta­len Thea­ter­pro­jek­te sich schon seit vie­len Jah­ren als Vor­rei­ter der Inklu­si­on im Kul­tur­ge­nuss ver­schrie­ben haben.«
»Spä­tes­tens nach der Pau­se zieht einen die Insze­nie­rung mit hin­ein in die Tie­fen des mensch­li­chen Daseins und des Krie­ges. […] Brechts Anti­kriegs­dra­ma kommt also immer zur rich­ti­gen Zeit, sei­ne mah­nen­den Wor­te ver­hall­ten offen­bar bis­her unge­hört. Man soll­te nicht müde wer­den, sie immer wie­der laut zu wie­der­ho­len, im Staats­thea­ter bie­tet sich aktu­ell eine gute Gele­gen­heit. Das Pre­mie­ren­pu­bli­kum quit­tier­te die Ensem­ble­leis­tung und ins­be­son­de­re die star­ke Leis­tung von Ute Fied­ler und Anne Zan­der mit star­kem Applaus.«
»David Ort­manns Insze­nie­rung ver­zich­tet auf pla­ka­ti­ve aktu­el­le Bezü­ge und ver­traut zu Recht auf die Zeit­lo­sig­keit von Brechts Text. […] Ute Fied­ler spielt die­se prag­ma­tisch-unsen­ti­men­ta­le, vom Leben (und vom Krieg) gezeich­ne­te Frau her­vor­ra­gend. Alles um sie her­um spielt sich vor oder neben einem mili­tä­risch anmu­ten­den Zelt ab, aus dem die Akteu­re auf­tau­chen und in das sie wie­der ver­schwin­den. Die Sol­da­ten der Sta­tis­te­rie ver­än­dern unmerk­lich ihr Aus­se­hen, wer­den im Lauf des Stücks immer ›heu­ti­ger‹ in der Aus­rüs­tung. Und an der Wand wer­den Strich­lis­ten geführt von Gefal­le­nen. Eine zeit­lo­se Ange­le­gen­heit. […] Eine Beson­der­heit der Insze­nie­rung ist, dass Kat­trin tat­säch­lich von einer gehör­lo­sen Schau­spie­le­rin gespielt wird. Anne Zan­der arti­ku­liert sich mit Gebär­den, was dem Publi­kum als Über­ti­tel über­setzt wird. Da es (zumin­dest bei der Pre­mie­re) auch vie­le Gehör­lo­se im Publi­kum gab, die wie­der­um die Büh­nen­spra­che nicht ver­ste­hen kön­nen, wird der gesam­te Text wie beim Musik­thea­ter an die Wand pro­jii­ziert. […] Mehr aktu­el­len Bezug braucht es da nicht.«