Thea­ter Augsburg

Welt am Draht

Schau­spiel nach dem Dreh­buch von Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der und Fritz Mül­ler-Scherz, nach dem Roman »Simulacron‑3« von Dani­el F. Galouye

Pro­fes­sor Voll­mer hat am Insti­tut für Kyber­ne­tik und Zukunfts­for­schung einen Super­com­pu­ter geschaf­fen, des­sen Herz­stück das Pro­gramm Simu­lacron ist: Tau­sen­de simu­lier­te Men­schen, soge­nann­te »Iden­ti­täts­ein­hei­ten«, leben dar­in – sie haben Bewusst­sein, Bezie­hun­gen und Gefüh­le. Aber außer einer ein­zi­gen »Kon­takt­ein­heit« weiß von ihnen nie­mand, dass sie nur aus Nul­len und Ein­sen bestehen. Ziel der Simu­la­ti­on ist, kom­ple­xe zukünf­ti­ge Ent­wick­lun­gen, sei­en sie gesell­schaft­li­cher, öko­no­mi­scher oder poli­ti­scher Natur, vor­aus­zu­sa­gen. Nach dem tra­gi­schen Tod von Pro­fes­sor Voll­mer über­nimmt Fred Stil­ler des­sen Amt als Tech­ni­scher Direk­tor und damit die Fort­füh­rung der For­schung. Doch Stil­ler droht Opfer einer Ver­schwö­rung zu wer­den – Mit­ar­bei­ter ver­schwin­den, er selbst ent­geht nur knapp einem Anschlag. Was geht am Insti­tut wirk­lich vor sich? War­um begin­nen die Iden­ti­täts­ein­hei­ten in der Simu­la­ti­on zu ver­zwei­feln, ja sogar den Weg in unse­re Welt zu suchen? Und wel­che Rol­le spielt die undurch­sich­ti­ge Eva Voll­mer, Toch­ter des Simu­lacron-­Er­fin­ders, zu der sich Stil­ler hin­ge­zo­gen fühlt?

Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der hat sei­nen Sci­ence-Fic­tion-Thril­ler 1973 gedreht, basie­rend auf dem Roman »Simulacron‑3« von Dani­el F. Galouye, und Fil­me wie »Matrix« oder »The Tru­man Show« inspi­riert. David Ort­mann, der sich in »Das Leben der Ande­ren« oder »Fami­li­en­ge­schich­ten. Bel­grad« mit den gesell­schaft­li­chen Fra­gen der Ver­gan­gen­heit beschäf­tigt hat, wen­det sich in Welt am Draht unse­rer Gegen­wart gewor­de­nen Zukunft zu: Wie kann ich wis­sen, ob ich in einer Com­pu­ter­si­mu­la­ti­on lebe? Was soll ich tun in Zei­ten von Big Data, tota­ler Über­wa­chung? Was darf ich hof­fen, wenn Maschi­nen uns in den meis­ten Aspek­ten unse­res Lebens zu über­flü­geln drohen?

Büh­nen- & Kos­tüm­bild: Sabi­ne Schmidt
Dra­ma­tur­gie: Lutz Keßler
mit: Gerald Fied­ler, Roman Pertl, Patrick Rup­ar, Dani­el Schmidt, Karo­li­ne Ste­ge­mann & Kai Windhövel
Fotos: Jan Fuhr
Pre­mie­re am 20. April 2018, brechtbühne
»Dani­el F. Galoyes Roman ›Simu­lacron 3‹ (1964), den Augs­burgs Regis­seur David Ort­mann nur leicht anzu­pas­sen, zu aktua­li­sie­ren brauch­te, um sei­nen heu­ti­gen Rea­li­täts­ge­halt beklem­mend zu machen. […] Ort­mann, durch sei­ne Augs­bur­ger ›Tatort‹-Produktionen und jetzt durch ›Welt am Draht‹ qua­si zur ers­ten Kri­mi-Instanz an Schwa­bens künf­ti­ger Staats­büh­ne gewor­den, setzt nicht allein auf Thril­ler, Pseu­do-Rea­lis­tik und den Sus­pen­se einer digi­ta­len Hor­ror-Tech­nik; er bezieht mit leich­ter Hand auch ein wenig Gro­tes­ke und Absur­des Thea­ter mit ein. So hat der Abend auch etwas schreck­lich Ver­gnüg­li­ches bis zum Hap­py End […]. Die drit­te Stär­ke aber die­ses Abends, der ein­mal mehr das Para­dies auf Erden (durch Digi­ta­li­sie­rung) pro­pa­giert, aber gleich­zei­tig zu ent­setz­li­chen All­machts­vor­stel­lun­gen führt, die­se Stär­ke liegt im anschei­nend staats­thea­ter­mo­ti­vier­ten Schau­spie­ler­en­sem­ble, das in der sach­li­chen, asep­ti­schen Schö­ner-Arbei­ten-Büh­nen­welt von Sabi­ne Schmidt (auch Kos­tü­me) mal selbst‑, mal fremd­be­stimmt agiert.«
»David Ort­mann (Regie) und Sabi­ne Schmidt (Büh­ne und Kos­tü­me) spie­len mit die­ser zeit­li­chen Distanz. Die Sze­ne­rie in der Augs­bur­ger Brecht­büh­ne hat Retro-Charme. Die leicht unter­kühl­te Holz-Stu­dio-Atmo­sphä­re, spre­chen­de Com­pu­ter mit Ale­xa-Stim­me, wild zucken­de Kör­per, wenn Per­so­nen an die digi­ta­le Welt Simu­lacron ange­schlos­sen wer­den, die Geträn­ke aus einer Art Lebens­mit­tel-3D-Dru­cker: So oder ähn­lich hat man sich in den 1970ern die Zukunft vor­ge­stellt. Augen­zwin­kernd zitiert sich Ort­mann durch die ein­schlä­gi­gen Gen­re-Klas­si­ker und staf­fiert damit eine Büh­nen­zu­kunft aus, die nur weni­ge Jah­re von der Gegen­wart ent­fernt ist und gleich­zei­tig irgend­wie ver­staubt wirkt. Befremd­lich eben. […] Zum bewuss­ten Retro-Stil gehört auch der völ­li­ge Ver­zicht auf Vide­os, Bea­mer und — bis auf Licht­ef­fek­te — ande­re tech­ni­sche Spie­le­rei­en. Die­se Insze­nie­rung über die digi­ta­len Wel­ten ist durch und durch ana­log und ver­mit­telt auch dadurch die Distanz, die das ver­meint­lich Ver­trau­te wie­der befremd­lich wer­den lässt. Damit zeigt sie aber auch, dass das Thea­ter die bes­se­re Simu­la­ti­ons­welt ist. Thea­ter­in­tel­li­genz statt Künst­li­che Intelligenz.«
»Ein trotz auf­kom­men­der Beklem­mung ins­ge­samt ver­gnüg­li­cher Thea­ter­abend mit über­ra­schen­dem Finale.«
»Regis­seur David Ort­mann hat das auf einem Roman des Ame­ri­ka­ners Dani­el F. Galouye basie­ren­de Skript aus­ge­gra­ben und lässt die Zukunfts­vi­sio­nen von damals, ergänzt durch man­che moder­ne Zutat, fröh­li­che Urständ fei­ern. Sehr beein­dru­ckend ist ein Camil­la genann­ter Ver­sor­gungs­au­to­mat, der auf Zuruf in Sekun­den­schnel­le Kaf­fee, Whis­ky oder auch mal eine Kopf­weh­ta­blet­te ser­viert. Da dür­fen Ale­xa und Siri noch ein biss­chen an sich arbeiten.«
Hans­pe­ter Plocher
Baye­ri­sche Staats­zei­tung vom 30. April 2018
»Die Insze­nie­rung von David Ort­mann fragt, wie wir die heu­ti­ge Situa­ti­on beur­tei­len. Lebe ich in die­ser rea­len Welt oder in und mit einer Com­pu­ter­si­mu­la­ti­on? Den Zuschauer*innen wird ihre indi­vi­du­el­le Ant­wort über­las­sen; denn ›die Simu­la­ti­ons­welt wird weiterleben‹.«