Mit Henrik Ibsens »Ein Volksfeind« zeigt das Staatstheater Augsburg einen Klassiker der Dramenliteratur. In Hausregisseur David Ortmanns Inszenierung für die brechtbühne entsteht eine Versuchsanordnung: Die höchst ambivalenten Charaktere spinnen darin lustvoll Intrigen, manipulieren die öffentliche Meinung und verdrehen die Wahrheit zugunsten des vermeintlichen Allgemeinwohls. Zusammen mit den Protagonisten stellt sich den Zuschauenden die Frage, wie weit sie für die eigenen Überzeugungen zu gehen bereit wären.
Henrik Ibsens Schauspiel von 1882 zeichnet einen politischen Skandal nach: In einem kleinen, relativ abgeschiedenen Ort scheinen die Zeiten immer nur besser zu werden, bescheidener Wohlstand und ein friedliches Auskommen scheinen für alle möglich. Das liegt an einem Kurbad, das vor einigen Jahren gebaut worden ist und dessen hervorragende Wasserqualität Kurgäste und Besucher:innen anlockt.
Bis eines Tages Frau Dr. Stockmann, die Kurärztin des Ortes, entdeckt, dass das Heilwasser durch Abwässer kontaminiert wird und somit mitnichten gesundheitsfördernd, sondern sogar gesundheitsgefährdend ist.
Eine vorübergehende Schließung und ein Neubau der Kanalisation könnten die Probleme lösen. Aber die Gesellschafter:innen wollen diese Kosten für eine Sanierung nicht tragen und so müssten sie über die Stadtkasse auf die Bewohner:innen des Ortes umgelegt werden – die ja gleichzeitig durch die Schließung Einnahmeausfälle hätten.
Insbesondere der Bruder der Kurärztin und Bürgermeister der Stadt, Peter Stockmann, glaubt nicht an die Dringlichkeit der Maßnahmen und plädiert für eine diskrete Behandlung der Forschungsergebnisse seiner Schwester.
Im Ort entbrennt eine heiße Diskussion über das weitere Vorgehen, in deren Verlauf es, nicht zuletzt durch das Zutun der Medien, zu Intrigen, wechselnden Allianzen und am Ende zur Zerstörung einer Existenz kommt.
Ibsens berühmtes Zitat von 1872 »Ich halte den Einsamsten für den Stärksten« scheint perfekt auf Dr. Stockmann zu passen. Sie ist dazu bereit, für ihren hehren Kampf um die Wahrheit und gegen die »Dummheit« der breiten Masse alles zu opfern. Aber je mehr Menschen sich von ihr abwenden, je mehr sie tatsächlich einsam kämpft, desto radikaler wird auch ihre Argumentation. Aber wohin treibt es eine Gesellschaft, wenn Einzelne die Wahrheit für sich beanspruchen? Wie viel Realpolitik ist notwendig, um eine Gesellschaft am Laufen zu halten?
Das Regieteam um David Ortmann setzt Ibsens »Ein Volksfeind« in einen überzeitlichen, abstrakten Raum, der den Zuschauer:innen Assoziationsflächen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bietet. Der Konflikt rückt ins Zentrum, die Motivationen und Triebkräfte, die zum Ge- und Misslingen einer Gesellschaft beitragen, und lässt Ibsens knapp 150 Jahre alte Figuren sehr heutig schillern.